Johanna
© Franziska S.
Von Franziska S.
Wir sind eine 4-köpfige Familie. Dazu gehören unsere große Tochter (Johanna, 4,5 Jahre), ihre kleine Schwester, die inzwischen 1 Jahr alt ist und mein Mann und ich. Wir wohnen gemeinsam in einem Einfamilienhaus am Bremer Stadtrand. Wir Eltern sind beide berufstätig und haben uns die Nachmittagsbetreuung gut untereinander aufgeteilt. Die Kinder gehen beide bis 14 Uhr in die Kita. Aktuell hat sich das Leben sehr verändert, da Johanna zur Risikogruppe zählt, sind wir sehr vorsichtig und verbringen viel Zeit in der Familie.
Johanna hat den Pflegegrad 4 und einen Grad der Behinderung von 100. Sie kam drei Monate zu früh auf die Welt und hat als ehemalige Frühgeburt schon ziemlich viel durchgemacht. Sie hatte schwere Hirnblutungen, die zum Glück inzwischen gut durch einen Shunt versorgt sind. Dennoch hat Johanna bis heute gesundheitliche Folgen hierdurch, wie zum Beispiel eine Sehbeeinträchtigung und Spastiken in den Beinen, eine Bewegungsstörung, die dazu führt, dass die Muskeln verkrampfen. Hinzu kommt, dass ihr Gleichgewichtssinn eingeschränkt ist. Dennoch hat Johanna es geschafft, zu Krabbeln und mit dem Rolli zu fahren. Laufen kann sie nicht alleine, aber sie schafft ein paar Schritte, wenn sie gehalten wird. Wir sind sehr glücklich darüber und wirklich stolz auf sie! Johanna hat ein ganz großes Sprachverständnis und eine große Sprachfreude. Sie selber kommuniziert in Ein-Wort-Sätzen. Langsam beginnt sie auch mit Zwei-Wort-Sätzen. In ihrem ersten Lebensjahr hat Johanna 9,5 Monate im Krankenhaus verbracht und sehr viele OPs überstanden.
Sie ist ein sehr neugieriges, kommunikatives Mädchen. Sie liebt Bücher, macht sich gerne schick und sauber und ist super stark. Ihr Wille und ihre Charakterstärke hat sie schon Vieles meistern lassen, was wir nicht annähernd schaffen würden. Johanna ist sehr hilfsbereit und hat ein großes Herz für andere Menschen, besonders ihre kleine Schwester.
Wie sieht unser Alltag aus?
Wie der Alltag mit einem Kind mit Beeinträchtigung ist, ist für mich schwer zu sagen, denn ich kenne ihn ja nicht anders. Langsam (durch unsere zweite Tochter und ihre Entwicklung) bekommen wir mehr und mehr eine Idee davon, dass bei uns gewisse Dinge anders sind als in anderen Familien. Inzwischen haben wir ein Kind in der Familie, das laufen kann. Ich muss daran denken, wie glücklich ich damals war, als Johanna sich das erste Mal hinsetzen konnte. Damals war sie 2,5 Jahre alt. Mit knapp 3 begann sie zu krabbeln. Das waren Meilensteine für mich. Nun war Johanna in der Lage selbstbestimmt den Raum zu verlassen, zu mir zu kommen oder auch einfach die Welt auf ihre Art besser wahrzunehmen. Für Johanna ist ihr Wunsch nach Unabhängigkeit und ihre Willensstärke immens wichtig. Daher war der Moment, als sie selber entscheiden konnte, wann sie wohin möchte und loskrabbeln konnte, auch für uns Eltern sehr bedeutsam.
Draußen ist Johanna mit dem Rollstuhl unterwegs. Drinnen krabbelt sie weiterhin, um die Beweglichkeit der Beine zu erhalten. Gerade möchte sie ganz viel laufen, das geht allerdings nur mit Stabilisierung an der Hüfte und dem Oberkörper.
Johanna geht in den Kindergarten und ist da sehr glücklich. Sie hat eine persönliche Assistenz, die sie sehr gerne mag und ihr viel Halt und Stabilität bietet. Die Erzieher*innen sind toll und gehen sehr individuell mit den Bedürfnissen von Johanna um. Die Kita ist für uns ein sehr großer Gewinn, da Johanna dort all ihre Therapien bekommt (Physiotherapie, Logopädie und Frühförderung). Von diesen Kitas gibt es in Bremen leider nicht so viele (sog. Schwerpunkthäuser). In der Kita gibt es unterschiedliche Kinder und das macht sie bunt und vielfältig. Die Kinder wachsen selbstverständlich damit auf, dass jedes Kind eigene Stärken und Schwächen hat. Dies wird so selbstverständlich, da die Pädagog*innen es wunderbar begleiten.
Grundsätzlich sehe ich das Inklusionskonzept als Mutter mit einem Kind mit Beeinträchtigung teilweise etwas kritisch. Für manche Kinder ist das sicher toll, inklusiv unterwegs zu sein in Kita und Schule, aber nicht für alle. Ich bin froh, dass es weiterhin Schulen mit Schwerpunkten gibt mit Pädagog*innen, die sich fachspezifisch mit genau dieser Erkankung/Behinderung auskennen. Zum anderen möchte ich aber auch für Johanna Erfolgserlebnisse. Sie eifert anderen Kindern nach und ist sehr ehrgeizig. Ich wünsche mir für Johanna, dass sie auch mal diejenige ist, die in etwas richtig gut ist und auch sie einem anderen Kind etwas vormachen kann.
Was viele Kinder in dem Alter toll finden, sind Spielplätze. Johanna findet diese Orte fürchterlich, was ich aus ihrer Sicht gut verstehen kann, sie kann dort einfach nichts so richtig mitmachen. Sie hat eine leichte Wahrnehmungsstörung, die dazu führt, dass sie schwer über Sand oder Gras krabbeln kann. Mit dem Rolli sind Spielplätze nur sehr selten befahrbar. Daran hat sie mit der Frühförderung ganz toll gearbeitet und macht Fortschritte. Im Sand spielen ist das Einzige auf dem Spielplatz, was geht. Schaukeln scheitert meist daran, dass sie nicht selbstständig auf der Schaukel sitzen kann und die Babyschaukeln zu eng sind für sie. Zuhause haben wir eine Nestschaukel. Das mag sie am liebsten alleine. Es gibt einfach wenig, das sie auf dem Spielplatz machen kann.
In den ersten zwei Jahren habe ich versucht, an vielen Eltern-Kind-Angeboten teilzunehmen. Aber es war nichts dabei, was gut machbar war. Es wurde zwar immer gesagt: "Klar, wir nehmen auch Kinder mit Behinderung auf!" in der Umsetzung hat es dann aber doch immer gescheitert. Für unsere zweite Tochter wäre Kinderturnen oder sowas total schön, und das macht es schwierig, weil man Johanna nicht mitnehmen könnte. Wir haben aber keine andere Betreuungsmöglichkeit und leider keine Großeltern in der Nähe. Johanna kann sich nicht gut auf andere Menschen einlassen, das macht es schwierig, eine Betreuung zu organisieren.
Wir haben lange nach einer schönen Bleibe für uns gesucht. Ein barrierefreies Haus zu finden, das die Größe für eine Familie hat und bezahlbar ist, ist im Grund unmöglich. Wir hatten Glück und konnten uns ein Haus leisten, das wir nun nach unseren Bedürfnissen nach und nach umbauen. Finanzielle Unterstützung gibt es dafür kaum.
Mobilität: Auch würden wir gerne autofrei leben. Jedoch haben wir bislang keine gute Möglichkeit gefunden, zwei Kinder und den Rolli auf dem Rad mitzunehmen. Da sind wir noch auf der Suche nach einer guten Möglichkeit. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln haben wir sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Wir haben auch schon viele nette Bahnmitarbeiter*innen erlebt, aber es gibt auch viele die unverschämt sind ("Können sie ihr Kind nicht einfach reinheben mit dem Rolli?" kriegt man da z.B. zu hören). Die Busse, die wir nehmen müssen, um zur Kita zu gelangen, sind leider nicht alle barrierefrei.
Wir haben gute Unterstützungsangebote gefunden:
- Das Kinderzentrum (SPZ) ist richtig gut, sowohl fachlich als auch menschlich.
- Johanna hat durch ihre Geschichte große Angst vor Ärzten. Unser Kinderarzt lässt sich empathisch und individuell auf Johanna ein (auf Anfrage empfehlen wir gerne).
- Eine Assistenz für die Kita wurde über die Kita gesucht und hat super geklappt.
- Bevor wir alle Therapien über die Kita erhalten haben, hatten wir eine tolle Physiotherapeutin. Auch diese empfehlen wir gerne auf Anfrage.
- Wir haben gute Erfahrungen mit dem MDK, die zur Begutachtung des Pflegegrad kam.
- Wir haben super Erfahrungen mit der Sehfrühförderung der Georg-Droste-Schule gemacht. Das hat uns richtig viel gebracht. Wir haben teilweise die Wohnung umgestaltet und mit Kontrasten gearbeitet, um Johanna im Alltag zu unterstützen.
Behindertes Kind und Corona
Familien mit pflegebedürftigen Kindern werden in der aktuellen Situation ziemlich vergessen. Wir hatten in Notbetreuungszeiten nie Anspruch auf einen Kitaplatz, trotz Berufstätigkeit beider Eltern. Johanna hatte in der Zeit keine Therapie und konnte am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen, weil wir auch sonst niemanden treffen können und auch Spielplätze für sie ja leider nicht funktionieren. Ihr Anker und ihre große Freude und Abwechslung ist nun mal die Kita. Des Weiteren geht es auch um Wertschätzung und Anerkennung und nicht zuletzt um die vorrangige Impfung für pflegende Angehörige von Johanna.
Was würde ich mir wünschen?
Ich würde mich wünschen, dass es eine Fachstelle gibt, die alles weiß und einem Schritte vorgibt, die man bedenken muss, jemand der einen begleitet und einem Sicherheit gibt. Direkt nach der Diagnose an die Hand genommen zu werden: Das sind deine Rechte und das deine Pflichten. Es kennt sich niemand so richtig gut aus und vieles bleibt einem selbst überlassen.
Aktuell gibt es die Möglichkeit für Verhinderungspflege. Wenn ich als pflegende Person mal eine Pause brauche, kann ich jemanden (eine Privatperson) zur Unterstützung suchen. Diese Leistung soll sehr stark eingeschränkt werden. Das heißt, in Zukunft müsste ich Johanna in eine Kurzzeitpflegeeinrichtung geben, wenn ich mal eine Pause brauche. Kurzzeitpflege würde aber bedeuten, dass Johanna auch über Nacht bleibt und das wäre für Johanna noch zu schwer. Auch neue Umgebungen machen ihr Schwierigkeiten. Da muss es mehr Unterstützungsangebote für Familien geben, die schnell und einfach verfügbar sind.
Wir haben großes Glück, dass wir trotz der Beeinträchtigung unserer Tochter beide arbeiten gehen können. Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir beide gut ausgebildet und studiert sind, gute Berufe haben und Arbeitgeber, die sich auf die Situation einlassen. Aber unter anderen Umständen, prekäre Beschäftigungen o.ä. sähe es sicherlich anders aus. Da haben viele Familien dann plötzlich mit existenziellen Problemen zu kämpfen. Da muss es bessere Unterstützung für Familien mit beeinträchtigen Kindern geben!
(Stand der Information: April 2021)
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